Der Altar

(Lesungen vom 31. Sonntag im Jahreskreis) Mal 1,14b-2,2b.8-10; 1 Thess 2, 7b-9.11; Mt 32, 1-12)

Ich habe keine Ahnung, wie ordnungsliebend Sie sind und wie oft Sie in ihrem Zuhause aufräumen. Zumal – gewiss nicht zu oft – kommt es bei mir auch vor, dass ich einen Rappel bekomme – einen Aufräumanfall – und dann wird wieder alles, was so herumliegt, was ich irgendwann schnell einmal irgendwo zwischen abgelegt habe, weil ich noch nicht wusste, was ich damit mache, oder weil es mir zu aufwändig war, gleich dafür einen endgültigen Platz zu finden … bei so einem Anfall wird dann ordentlich aufgeräumt. Zuweilen schiebe ich das lange Zeit vor mir her mit der bekannten Ausrede: Wer Ordnung hält, ist nur zu faul zum Suchen. Wenn ich aber dann diesen Anfall bekomme – siehe da: plötzlich kommt wieder Luft in einen Raum, Freiheit. Man kann wieder ganz anders atmen und der Blick ist reiner wie nach einem Gewitter. Und siehe da: die Schönheit der Möbel, des Tisches, der Sessel, auf denen auch schon alles Mögliche herumgelegen ist … alles ist wieder so keusch und so rein, so dass ich von neuem erfahren kann, wie schön es eigentlich ist, wenn aufgeräumt ist. Das ist ja normalerweise auch Bild für den seelischen Zustand eines Menschen. Ein aufgeräumter Mensch ist ganz was anders als ein Chaot, der einem den letzten Nerv kostet, weil man sich bei ihm nicht auskennt, weil man keine klaren Antworten bekommt, weil man sich nichts Verbindliches mit ihm ausmachen kann und … und … und …. Wir wissen alle, wie Chaoten sind und manchmal gehören wir da auch selbst dazu – hoffentlich nur manchmal. Aber zurück zum Aufräumen! Ein wesentlicher Ort und ein wesentliches Möbelstück einer Wohnung ist wohl der Tisch. Der Tisch in einem Zimmer, der mich zum Hinsetzen einlädt, der Tisch, der mich zum Essen einlädt und zum mitsammen Verweilen. Ich trage ein Bild aus meiner Kindheit in mir – und zwar vom Wohnzimmertisch meines Großvaters. Der Tisch war groß und stand mitten im Zimmer, und an diesem Tisch saß tagsüber mein Großvater. Wie dieser Tisch allerdings wirklich aussah, entzieht sich meiner Erinnerung, denn dieser Tisch war bis auf den letzten Quadratzentimeter vollgeräumt mit Stapel von Papier, mit Büchern, Kalendern, Zeitungen. Manchmal denke ich mir, ich habe da was von meinem Großvater geerbt … Tische sind natürlich dazu da, dass man etwas draufstellt oder legt, und doch dienen sie oft mehr als Ablage von Gegenständen und weniger als Freiräume, die einladen sollten, etwas daraufzulegen, das man nach dem Gebrauch auch wieder abräumt. Zuweilen schiebt man oder stapelt man die Dinge, damit die Ablagefläche des Tisches neue Kapazität hat. Letztlich aber hört sich dadurch die Bestimmung eines Tisches auf! Der Tisch muss immer wieder neu einladen. Aber kann ein vollgeräumter Tisch einladen?

Der Tisch einer Kirche, eines Gotteshauses, ist der Altar. Und auch bei diesem Tisch einer Kirche findet man zuweilen dieses vorhin beschriebene Phänomen. Der Altar als Ablagefläche für Bücher, Blumen, Kerzen, Bilder, und darüber hinaus auch für Gegenstände, die man sonst noch im Gottesdienst braucht. Wenn man nicht weiß, wohin man etwas legen soll, der Altar bietet sich immer an. Dabei aber ist der Altar kein Ablagetisch, sondern DER zentrale Ort eines Gotteshauses mit einer besonderen Bestimmung. Er soll zunächst einmal einladen! Denn er ist der Ort, an dem sich Himmel und Erde berühren, der Ort, an dem sich das Göttliche mit dem Irdischen verbindet, oder noch besser gesagt: verbündet. Überall dort, wo der gläubige Mensch Gott erfahren will, mit ihm in einen besonderen Bund treten will, dort errichtete schon Abraham einen Altar und dort errichten wir bis heute einen Altar, weil wir Gott etwas auf den Tisch legen wollen und es ihm anbieten wollen als eine Einladung, als ein Geschenk oder als ein Symbol für unser Leben. Und weil wir darauf warten, dass Gott sich uns an diesem Ort zeigt. Eigentlich ist er ein Geschenketisch, ein Gabentisch. Auf ihm geschieht ein wunderbarer Tausch, ein Dialog zwischen Gott und Mensch. Gott schenkt sich uns Menschen und wir Menschen nehmen teil am Göttlichen. Da geschieht Angebot und Nachfrage unserer Seele. Gott interessiert sich für das, was der Mensch ihm anbieten kann und will. Der Mensch interessiert sich für Gott, was er ihm anbieten will. Und danach fragt er, bittet er vor dem Altar. Was geschieht in der Messe? Da gibt sich Gott in unser irdisches Leben und wir nehmen teil an seinem Göttlichen Sein. Eigentlich ein wunderbares Geschehen!

Wie aber soll das gehen, wenn der Altar vollgeräumt ist und kein Platz darauf ist für diesen wunderbaren Tausch? Das Evangelium des heutigen Sonntags spricht irgendwie auch davon. Denn was Jesus an den Schriftgelehrten und Pharisäern kritisiert, ist ja, dass sie diese Verbundenheit mit Gott behindern und blockieren. Blockieren mit lauter Nebensächlichkeiten, die für sie wichtiger sind als die Beziehung zu Gott. Da werden Bedingungen aufgestellt, unter welchen Umständen man zu Gott gelangt, was man alles befolgen muss. Da machen sie aus dem Altar der Gottesbegegnung eine Sperrzone, die kein Normalsterblicher betreten darf, da setzen sie sich vor alle anderen, damit ja niemand ihnen ihre Macht nimmt. Jesus aber will im übertragenen Sinn den Menschen als einen Altar sehen, der frei und leer ist, damit sich Gott darauf niederlassen kann. Auf einem vollgeräumten Altar findet auch Gott keinen Platz. In einer vollgeräumten Seele kann Gott nicht Einzug halten. Daher die Empfehlung Jesu: Der Größte soll der Diener sein, sich selbst erniedrigen, frei und leer werden, damit Gott in ihm Raum und Platz finden kann…

So wird der Altar zum Zeichen für jeden Menschen, der sich Gott schenken will und zu dem Gott kommen will. Vielleicht halten wir das wieder neu im Blick und lassen den Altar der Seele nicht zur Ablage für das werden, von dem wir nicht wissen wohin. Vielleicht räumen wir auch einmal diesen inneren Altar wieder auf, damit die Seele in ihrer Schönheit wieder sichtbar wird und dass sie leer wird, um den zu empfangen, der zu ihr kommen will. Amen

P. Thomas Vanek, OSFS

Aus der Predigtreihe „Meine Kirche – unser Kirchenraum“