Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche

In Indien habe ich mir erst vertieft die salesianische Spiritualität angeeignet und dabei gemerkt, wie wichtig dem hl. Franz von Sales die Versetzung in die Gegenwart Gottes ist. Es ist erst seitdem, dass ich am Beginn jedes Gottesdienstes die Anwesenden einlade sich in die Gegenwart Gottes zu versetzen. Sich bewusst werden, dass Gott da ist. Ja, wo ist er denn? Um uns. JA. In uns. Auch JA. In einem Kirchenraum. JA. Im Wort Gottes. JA. Und ganz besonders im Tabernakel. Ja, da auch, JA. Selbstverständlich

Ganz bewusst, erlaube ich mir heute meine Predigt vom Tabernakel aus zu machen. Ein Ort, der uns tagtäglich an jene Stelle im Evangelium erinnern kann, wo Petrus für Jesus, Mose und Elija eine Hütte bauen wollte, weil er erkannte, dass sich da das Heilige mit dem Göttlichen vereinigt. Aber schon lange vor Jesus wurden z.B. die Tafeln der zehn Gebote in einem heiligen Zelt aufbewahrt, zu dem nur die Hohenpriester Zugang hatten. Ein besonderer Platz für das Heilige, das Göttliche.

Sehr viel fließt an der Stelle des Tabernakels in der Kirche zusammen: unser Verständnis von Eucharistie, das nicht wissenschaftlich Fassbare, das Heilige, das Stärkende, das ganz Kleine, das Konsumierbare, das Anzubetende.

Während ein Tabernakel früher zentral in einem Kirchenraum aufgestellt wurde, hat die Liturgiereform des 2. Vatikanums bewusst eingeladen, den Ort für die Aufbewahrung der Eucharistie, eher an einen Seitenaltar oder in eine Seitenkapelle zu legen, damit sich Menschen da leichter und vielleicht sogar diskreter und angemessener der Gegenwart Gottes nähern können. Aus praktischen Gründen soll der Tabernakel in der Nähe des Hauptaltars sein, ohne sich in den Vordergrund zu stellen.

Das „Auf-die-Seite-rücken“ des Tabernakels ist keine Aussage darüber, dass die Realpräsenz Gottes in der Eucharistie heutzutage weniger Bedeutung hätte. Es ist vielmehr eine Einladung zur Fokussierung auf jene Begegnung mit Gott, die manchmal unscheinbar, diskret und man könnte sogar sagen banal ist. Denn die Pflege unserer Beziehung zu Gott ist nicht etwas, das wir unbedingt an die große Glocke hängen müssen, es bedarf vielmehr jener stillen Orte, an denen sich Jesus selbst zum Gebet zurückgezogen hat, um mit Gott Zwiegespräch zu halten. Der Tabernakel in einem Kirchenraum möchte so ein Ort für die Gläubigen sein.

Weder die Hohepriester des Alten Testaments, noch Jesus und seine Jünger haben ihr Leben im Heiligen Zelt verbracht. Im Gegenteil, Jesus hat sich mit seinen Jüngern zurück in den Alltag begeben, aber er tat dies nicht unverändert. Er und die Jünger haben an diesem heiligen Ort erfahren, dass Gott über Jesus sagt: „Das ist mein geliebter Sohn. Hört auf ihn.“

Der Tabernakel ist nicht nur der Ort, wo wir übriggebliebene Hostien aufbewahren. Das umschreibt nur seine praktische Funktionalität. Nein. Der Tabernakel ist viel mehr:

Der Tabernakel ist jener Ort, wo du und ich diese Zusage Gottes an Jesus wieder und wieder hören können. Wir können das in jenem Bewusstsein hören, dass es auch an dieser Stelle ist, dass Gott zu uns JA sagt. Wir, Du und ich, wir sind seine geliebten Töchter und Söhne.

Er ist jener Ort, wo du und ich alles loswerden können, ins Gespräch mit Gott treten können.

Er ist jener Ort, an dem wir uns in Erinnerung rufen dürfen, wie Gott seine Liebe zu uns im letzten Abendmahl zum Ausdruck gebracht hat und dann seinen Kreuzweg ging.

Der Tabernakel ist jener Ort, der uns nicht an sich festbindet, sondern der uns gestärkt durch Gottes Zuspruch, in unsere Welt hinein sendet.

Er ist jener Ort, der mir bewusst macht, dass mein Glaube im zerbrechlichen Gefäß meines eigenen Körpers beheimatet ist.

Er ist jener Ort, der mir zusagt, dass Gott im natürlichsten der Welt, nämlich im Brot, sich selbst zur Speise gibt, und damit uns signalisiert, dass er, Gott, bei uns, um uns, in uns sein will.

Er ist jener Ort, der die Allmacht und Größe Gottes auf den entscheidenden Punkt bringt.

Gott bedarf unserer Anbetung nicht, wir bedürfen der Anbetung Gottes, um ihm immer mehr Raum in uns zu geben: befreit von Egoismus und Selbstsucht, befreit von unserer Anhänglichkeit an das Materielle, befreit von unser Geltungssucht und unserem Ehrgeiz, der uns glauben lässt, besser, frömmer, gerechter, nachhaltiger, umweltfreundlicher als der zu sein, die neben mir in der Kirche sitzt.

Der Tabernakel ist jener Ort, der uns daran erinnert, dass ein Wort, eine Geste, eine Berührung, ein Augenzwinkern, ein Stück Brot genügen, um unseren Auftrag in der Welt im Sinne Gottes umzusetzen, um unsere Welt ein Stück gerechter und befreiter zu gestalten.

Das ist der Tabernakel, der Ort für die Aufbewahrung der Eucharistie.

Amen.

P. Sebastian Leitner, OSFS

Aus der Predigtreihe „Meine Kirche – unser Kirchenraum“